Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer, 1. Kapitel: Eine Geschichte von der Liebe - bitedition.net

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Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer

Eine Geschichte von der Liebe

aus
Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer,
dem ältesten Märchen- und Sagenbuch des christlichen Mittelalters

Der sehr reiche und mächtige König Pompejus, hatte eine einzige und sehr schöne Tochter, welche er auf das Zärtlichste liebte. Er bestimmte daher für ihre Bewachung fünf Soldaten, welche sie vor jeder Gefahr unter schwerer Strafe behüten sollten. Diese aber bewachten sie bewaffnet Tag und Nacht und stellten vor dem Eingang ihres Gemaches eine brennende Lampe auf, damit Niemand des Nachts, während sie schliefen oder ohne dass sie es wissen könnten, zu ihr gelangen könnte, auch hatten sie ein kleinen Hund, einen tüchtigen Beller, durch dessen Lärm sie aufgeweckt werden wollten.

Das Mädchen war sehr zärtlich erzogen worden und sehnte sich sehr danach, die weite Welt zu entdecken. Als sie einmal aus dem Fenster sah, da kam ein gewisser Herzog, der, als er kaum seine begehrlichen Augen auf sie geworfen hatte, sich in sie verliebte, denn sie war zu schön und allen Augen angenehm und dazu noch die einzige Tochter des Kaisers, welche nach dem Tod ihres Vaters durch das Erbrecht das Reich bekommen musste. Darum machte ihr dieser Herzog viele Versprechen, um sie für sich zu gewinnen; da sie ihm glaubte , gab sie ihm auch ihre Zustimmung, tötete sogleich das kleine Hündlein, löschte die Lampe aus und folgte bei Nacht [und Nebel] ihrem Herzog.

Früh morgens fragte man sich, was aus ihr geworden sei. Es war aber damals im Palast des Königs ein tapferer Ritter, der stets für die Gerechtigkeit des Reiches stritt. Als der gehört hatte, wie die Tochter dem Vater den Rücken gekehrt hatte, nahm er sofort ihre Verfolgung auf. Als ihn jener Herzog bewaffnet auf sich zukommen sah, ließ er sich mit ihm in einen Zweikampf ein. Aber der Ritter siegte, schlug ihm dem Kopf ab und führte das Mädchen in den Palast zurück.

Da bekam sie aber für sehr lange Zeit ihren Vater nicht zu Gesicht, und stieß unaufhörlich Seufzer und Wehklagen aus. Dieses hörte ein weiser Mann im Rat des Kaisers, der immer als Vermittler zwischen dem Kaiser und anderen eingesetzt war, und ließ sich von ihrer Frömmigkeit rühren, worauf sie durch ihn mit dem Vater ausgesöhnt und mit einem sehr vornehmen Mann verlobt wurde.

Danach erhielt sie von ihrem Vater verschiedene Geschenke, zuerst ein Kleid, das ihr bis zu den Füßen reichte, das aus feinstem Gewebe und reich bestickt war und folgende Worte enthielt: „Ich habe Dir verziehn, füge nicht mehr hinzu.“ Von einem König erhielt sie einen goldnen Kranz, auf dem die Worte graviert waren: „Von mir kommt Deine Würde.“ Von jenem Ritter bekam sie einen Ring mit der Inschrift: „Ich habe Dich geliebt, lerne Du auch zu lieben.“ Von dem weisen Vermittler empfing sie einen anderen Ring, auf dem Folgendes stand: „Was habe ich getan, wie viel, warum?“ Von dem Königssohn bekam sie auch einen Ring, auf dem geschrieben stand: „Du bist edel, mögest Du Deinen Adel nicht verachten.“ Von ihrem eigenen Bruder erhielt sie einen andern Ring, auf welchem geschrieben war: „Komm her zu mir, fürchte Dich nicht, ich bin Dein Bruder.“ Von ihrem Bräutigam erhielt sie ein goldenes Siegel, durch welches ihr das Erbe desselben versichert wurde. Auf diesem lautete aber die Inschrift so: „Nun bist Du mit mir verbunden, wandle nicht mehr auf Irrwegen.“

Als das Mädchen diese Gaben empfangen hatte, bewahrte sie dieselben ihr Leben lang. Sie wurde von allen geliebt und endete ihre Tage in Frieden.

Quellenangabe:
Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer,
dem ältesten Märchen- und Sagenbuch des christlichen Mittelalters, I, 74. Kap.
1842 von Dr. Johann Georg Theodor Grässe aus dem Lateinischen übersetzt.
Leicht überarbeitet, an die heutige Rechtschreibung angepasst, ohne Moralisationen.
Copyright: Gemeinfrei.

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