Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer, 1. Kapitel: Eine Geschichte von der Liebe - bitedition.net

bitedition.net

Warenkorb anschauen € 0.00

E-Books im Format PDF, die mit Android, Apple und  Windows kompatibel sind und in jedem Computer, Notebook oder Tablet gelesen werden können.

Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer

Von der in der äußersten Not nicht zulässigen Entschuldigung

aus
Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer,
dem ältesten Märchen- und Sagenbuch des christlichen Mittelalters

Es herrschte einst der kluge Maximianus und in seinem Reich waren zwei Ritter, der eine klug, der andere dumm, die sich beide gegenseitig sehr lieb hatten. Zu Letzterem sprach der kluge: „Beliebt es dir, mit mir einen Bund zu machen, dies wird uns von Nutzen sein.“ Jener antwortete: „Das ist mir ganz recht.“ Hierauf antwortete dieser: „Ein jeder von uns mag Blut aus seinem rechten Arm fließen lassen, ich will dein Blut trinken, und du magst mit dem meinigen dasselbe tun und so wird keiner von uns den anderen weder im Glück noch Unglück verlassen, und was einer von uns gewonnen haben wird, davon soll der andere die Hälfte haben. Jener sagte: „So ist es mir recht.“ Sogleich tranken nun beide, nachdem sie sich Blut entzogen hatten, dasselbe voneinander und blieben nachher immer in einem und demselben Haus zusammen. Nun hatte aber der König zwei Städte erbaut, die eine auf der Spitze eines Berges, wo alle, so sie dahin kamen, einen Reichtum an Schätzen finden und dort ihr ganzes Leben verbleiben könnten. Es führte aber zu dieser Stadt ein enger und steiniger Weg auf dem drei Ritter mit einem großen Heer, und Alle, die über jene Straße zogen, mussten entweder gegen diese kämpfen oder Alles samt ihrem Leben verlieren. Auch hatte der König in jene Stadt einen Seneschall gesetzt, der ohne Ausnahme alle Ankommende aufnehmen und nach Rücksicht ihres Standes herrlich bewirten sollte.

Er hatte aber auch unter diesem Berg im Tal eine andere Stadt bauen lassen, zu welcher ein ebener und zum Gehen anmutiger Weg führte. Es lagen aber drei Ritter an jenem Weg, welche alle Vorübergehende freundlich aufnahmen und nach eines Jeden Gefallen bedienten. In der Stadt selbst aber hatte er auch einen Statthalter bestellt, der Alle, welche in die Stadt oder auch nur in die Nähe derselben kamen, ohne Ansehen der Person ins Gefängnis werfen und sie sämtlich bei der Ankunft des Richters demselben vorführen musste. Der Richter aber sollte niemanden verschonen.

Da sprach der kluge Ritter zu seinem Freund: „Mein Lieber, lass uns durch die Welt ziehen, wie andere Ritter, und wir werden viele Güter erwerben können, von denen wir anständig leben mögen.“ Jener entgegnete: „So gefällt es mir auch.“ Hierauf zogen beide über eine Straße, bis sie an eine Kreuzung kamen, da sagte der Kluge: „Mein Lieber, wie du siehst, sind hier zwei Wege. Der eine führt zu einer prächtigen Stadt, wenn wir ihn einschlagen, werden wir zu jener Stadt gelangen, in der wir alles, was unser Herz begehrt, erhalten werden. Da ist aber eine andere Straße, die zu einer anderen Stadt führt, welche im Tal erbaut ist. Gehen wir diese, wird man uns gefangen nehmen, ins Gefängnis stecken, vor den Richter führen und dieser uns an den Galgen aufhängen lassen. Ich rate also dazu, diesen letzteren Weg liegen zu lassen und den anderen zu gehen.“

Darauf erwiderte der Dumme: „Mein Lieber, schon vor Langem hörte ich von diesen zwei Städten. Allein der Weg zu der auf dem Berg gelegenen ist schmal und sehr gefährlich, und an demselben lagern drei Ritter mit einem Heer, welche Alle, die dahin ziehen, überfallen, töten und plündern. Der andere Weg ist eben und auf demselben befinden sich drei Ritter, die Alle, die denselben betreten, freundlich aufnehmen, und alles Nötige findet sich da. Und all das sehe ich ganz deutlich und darum glaube ich meinen Augen mehr als dir.“

Darauf sagte der kluge Ritter: „Obgleich der eine Weg schlecht zu gehen ist, so ist doch der andere, wenn man an das Ende desselben denkt, noch weit schlechter, denn er führt uns zu ewiger Schmach und von da werden wir zum Galgen geschleppt werden. Nun fürchtest du dich aber vor dem Kampf und den Wegelagerern und willst deshalb auf der anderen Straße gehen. Das ist aber für dich eine ewige Schande, weil du ein Ritter bist und Ritter gegen ihre Feinde kämpfen. Wenn du aber anders mit mir auf diese Straße gehen willst, verspreche ich dir hoch und heilig, vor dir in den Kampf zu ziehen und so viele sie auch sein mögen, du wirst durch sie hindurch kommen, wenn du mich unterstützt.“

Jener aber entgegnete: „Gut. Ich sage dir, auf diesem Weg will ich nicht gehen, sondern viel mehr auf dem anderen.“ Da sprach der Kluge: „Da ich dir mein Wort gegeben habe und zum Zeichen meiner Treue dein Blut getrunken habe, werde ich dich nicht allein gehen lassen, sondern mit dir ziehen.“

Beide schlugen nun diesen Weg ein und fanden unterwegs, ganz nach ihrem Geschmack vielerlei Annehmlichkeiten, bis sie an die Herberge jener drei Ritter kamen, von welchen sie mit großen Ehrenbezeugungen aufgenommen und prächtig bewirtet wurden. Bei jeder Erfrischung, die sie gereicht bekamen, aber sagte der dumme zu dem klugen Ritter: „Mein Lieber, habe ich es dir nicht vorhergesagt, sieh nur, wie viele und große Erfreulichkeiten wir auf dieser Straße genießen, die wir alle auf der anderen hätten entbehren müssen.“ Dieser aber antwortete: „Ende gut, alles gut, darauf hoffe ich aber nicht.“

Sie verbrachten einige Zeit bei diesen Rittern. Als der Statthalter dieser Stadt erfuhr, dass zwei Ritter gegen das Gebot des Königs verstießen und in der Nähe der Stadt blieben, schickte er gleich seine Wächter aus, auf dass sie sie fingen und zur Stadt führten. Als sie der Statthalter in Augenschein genommen hatte, ließ er Dummen an Händen und Füßen gebunden in eine Grube werfen, den anderen ließ er in den Kerker werfen. Als dann der Richter in die Stadt kam, wurden alle Missetäter, einschließlich der beiden Ritter, dem Richter vorgeführt.

Um sich zu verteidigen, sagte der Kluge: „Herr, ich klage gegen meinen Freund, denn er ist die Ursache meines Todes. Ich habe ihm das Gesetz dieser Stadt vorausgesagt, sowie die Gefahren und doch wollte er auf keine Weise meinen Worten trauen und sich bei denselben beruhigen und meinem Rat Folge leisten, sondern antwortete mir: „Ich traue meinen Augen mehr, als deinen Reden.“ Da wir aber durch Wort und Schwur miteinander verbunden waren, mochten wir im Glück oder im Unglück sein, und ich ihn allein sich auf den Weg machen sah, habe ich meines Eides wegen mich ebenfalls hierher begeben, und darum ist er jetzt schuld an meinem Tod. Fälle also einen gerechten Urteilsspruch.“

Da entgegnete der dumme Ritter dem Richter: „Der da ist die Ursache meines Todes, denn es ist der ganzen Welt bekannt, dass er weise ist und ich von Natur aus dumm bin. Deshalb hätte er aber wegen seiner Weisheit nicht so leichtsinnig meiner Dummheit hätte fügen sollen. Wäre er mir aber nicht gefolgt, als ich mich allein auf den Weg machte, so wäre ich ihm auf den Berg, auf den er steigen wollte, gefolgt, wegen des Schwurs, den ich ihm geleistet habe. Deshalb, weil er weise ist und ich dumm bin, ist er die Ursache meines Todes.“

Darauf entgegnete der Richter beiden, zuerst zum Klugen gewandt: „Du Kluger, der du so leichtsinnig seiner Dummheit nachgabst und ihm gefolgt bist, und du, Dummer, der du den Worten des Klugen nicht glaubtest, sondern deine eigene Dummheit durchgeführt hast, ihr sollt beide nach meinem Urteil am Galgen gehenkt werden.“ Und so geschah es.

Quellenangabe:
Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer,
dem ältesten Märchen- und Sagenbuch des christlichen Mittelalters, I, 67. Kap.
1842 von Dr. Johann Georg Theodor Grässe aus dem Lateinischen übersetzt.
Leicht überarbeitet, an die heutige Rechtschreibung angepasst, ohne Moralisationen.
Copyright: Gemeinfrei.

Bezahlen Sie in aller Sicherheit per Kreditkarte oder mit Ihrem PayPal-Konto.

Warenkorb anschauen
 € 0.00