Es war einst ein König, der hatte nur einen einzigen Sohn, welchen er sehr zärtlich liebte. Nun ließ der König mit großen Unkosten einen goldenen Apfel machen und als dieser fertig geworden war, da wurde der König todkrank, berief seinen Sohn zu sich und sprach: „Mein Lieber, wenn ich aus dieser Krankheit nicht davonkommen kann, so gehe mit meinem Segen nach meinem Tod durch alle Länder und Burgen und nimm den goldnen Apfel, den ich habe machen lassen, mit Dir, und wen Du als den größten Tor antreffen wirst, dem gib den Apfel in meinem Namen.“ Der Sohn versprach das Befehl seines Vaters getreulich auszuführen, der König aber wandte sich zur Wand um und gab seinen Geist auf. Der Sohn ließ ihn hierauf aufs Ehrenvollste begraben, nahm nach dem Begräbnis desselben den Apfel und zog durch verschiedene Länder und Schlösser, traf zwar und erblickte viele törichte Leute, jedoch gab er keinem den Apfel.
Danach aber machte er sich nach einem gewissen Reich auf den Weg, kam zu der Hauptstadt desselben und sah den König mit großem Prunk mitten durch die Stadt reiten. Er befragte nun einige Bürger nach den Verhältnissen dieses Landes und jene sagten ihm: „Es ist in diesem Reich so üblich, dass nie ein König bei uns anders an die Regierung gelassen wird, als dass er nach Verlauf eines Jahres aller Würden und Schätze beraubt, in die Verbannung getrieben wird, wo er eines elenden Todes sterben muss.“ Wie das der Königssohn hörte, dachte er bei sich: „Jetzt habe ich gefunden, was ich lange suchte.“
Er begab sich also zum König, begrüßte ihn mit einer Verneigung und sagte zu ihm: „Heil sei Dir, o König. Mein Vater ist mir gestorben und hat Euch in seinem Testament diesen goldenen Apfel vermacht.“ Der König aber nahm den Apfel und sprach zu ihm: „Mein Lieber, wie kann das möglich sein? Der König hat mich niemals gesehen, noch habe ich Deinem Vater irgend etwas Gutes erwiesen, weshalb er mir ein so kostbares Geschenk hätte geben sollen.“ Darauf entgegnete jener: „Mein Herr König, mein Vater hat Euch den Apfel ebenso gut vermacht wie einem anderen, aber er hat mir bei seinem Segen aufgegeben, diesen Apfel dem größten Tor zu geben, welchen ich finden könnte. Ich bin nun, wie Ihr nicht zweifeln werdet, durch viele Königreiche und Schlösser gezogen, habe aber noch keinen so argen Tor und Narren angetroffen als Euch, weshalb ich Euch nach seinem Geheiß den Apfel übergeben habe.“
Darauf sagte der König: „Ich bitte Dich mir zu sagen, weshalb Du mich für einen solchen Tor hältst.“ Jener aber antwortete: „Schau Herr, das will ich klar beweisen. Es ist die Gewohnheit dieses Landes, dass jemand ein ganzes Jahr hindurch König ist, am Ende desselben aber aller seiner Ehre und Reichtümer beraubt und in die Verbannung getrieben wird, wo er eines erbärmlichen Todes sterben muss. Nun sage ich Euch, dass ich aus diesen meinen Worten entnehme, dass es in der ganzen Welt keinen so argen Dummkopf geben kann, als Ihr seid, der nur eine so kurze Zeit hindurch König sein und nachher so elend sein Leben beschließen soll.
Darauf entgegnete der König: „Ohne Zweifel ist alles wahr, was du mir da gesagt hast und darum werde ich, solange ich noch im gegenwärtigen Jahr im Besitz meiner Macht bin, unermessliche Reichtümer vor mir in das Land meiner Verbannung senden, damit ich, wenn ich dahin komme, von jenen Gütern solange ich lebe, leben kann.“
Und so geschah es: Er wurde am Ende des Jahres der Regierung beraubt und in die Verbannung geschickt, wo er aber noch viele Jahre von jenen Gütern lebte und sein Leben in Frieden beschloss.